Marokkokrise, Erste

Marokkokrise, Erste
Marokkokrise, Erste
 
In der von Großbritannien und Frankreich am 8. April 1904 mit der Entente cordiale erreichten Abgrenzung ihrer kolonialen Interessensphären war Marokko ausdrücklich zum französischen Einflussgebiet erklärt worden. Frankreich begann nach Abstimmung mit Spanien noch im gleichen Jahr mit der verstärkten »friedlichen Durchdringung« des Landes mit dem Ziel, es in ein französisches Protektorat umzuwandeln.
 
Diesen Plänen glaubte die deutsche Reichsregierung im Interesse ihrer eigenen Handelsabsichten entgegentreten zu müssen. Um demonstrativ die Ansprüche Deutschlands in dieser Region und zugleich die Souveränität des Sultans von Marokko zu unterstreichen, inszenierte Reichskanzler von Bülow einen Besuch des deutschen Kaisers in Tanger. Der triumphale Empfang Wilhelms II. am 31. März 1905 in Tanger erregte bei der französischen Regierung und in der Öffentlichkeit großes Aufsehen. Man fürchtete, das Deutsche Reich könnte zu einem Präventivkrieg gegen Frankreich entschlossen sein, da der französische Verbündete Russland durch die Niederlage im Russisch-Japanischen Krieg zumindest vorübergehend politisch geschwächt schien.
 
Die Deutschen strebten jedoch die Einberufung einer internationalen Konferenz an, auf der die Marokkofrage geregelt und Frankreich von einem Alleingang in Marokko zurückgehalten werden sollte. Die deutsche Regierung erhoffte sich von der Konferenz, dass Frankreich eingeschüchtert und isoliert werden könne. Frankreich sollte die Wertlosigkeit des Bündnisses mit Großbritannien einsehen und sich für ein Kontinentalbündnis mit Deutschland und Russland entscheiden. Als die Konferenz schließlich von Januar bis April 1906 im spanischen Algeciras zustande kam - an ihr nahmen neben den fünf europäischen Großmächten auch Italien, Spanien, Portugal, Belgien, Schweden, die Niederlande und die USA teil -, musste die deutsche Delegation eine unerwartete, schwere diplomatische Niederlage hinnehmen. Denn nicht Frankreich, das die Unterstützung Großbritanniens, aber auch anderer Staaten und der USA erhielt, war politisch isoliert, sondern das Deutsche Reich, das sich lediglich auf Österreich-Ungarn als Verbündeten stützen konnte.
 
In der am 7. April 1906 unterzeichneten Algeciras-Akte wurde die Souveränität des Sultans von Marokko im Wesentlichen anerkannt und die internationale Handelsfreiheit garantiert. In den acht Häfen des Landes wurde die marokkanische Polizei jedoch französischen und spanischen Offizieren unterstellt. Diese Regelung sollte für die Dauer von fünf Jahren gelten. Die Bank von Marokko sollte von je einem französischen, britischen, spanischen und deutschen Beauftragten kontrolliert werden.
 
Äußerlich war damit die deutsche Forderung erfüllt; die schrankenlose Vereinnahmung des Landes durch Frankreich war verhindert worden. Aber der Verlauf der Verhandlungen hatte allen Teilnehmern deutlich gemacht, dass das Deutsche Reich mit seinem habsburgischen Verbündeten eine empfindliche politische Niederlage erlitten hatte, während die britisch-französische Entente cordiale gestärkt aus der Konferenz hervorgegangen war.

Universal-Lexikon. 2012.

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